Christian Scherg
 
Krisenkommunikation | Reputation | Internet 

August 2015

Hasspostings Facebook

Posted in Presse 2015

Frauenzeitschrift: BILD der Frau

Hasspostings Facebook

Facebook steht massiv in der Kritik: Warum werden Hasspostings auf Facebook nicht sofort gelöscht? Reputationsexperte Christian Scherg im Interview mit Europas größter Frauenzeitschrift. Er beantwortet, warum Facebook sich als us-amerikanisches Unternehmen so schwer tut, Hasspostings von Usern nach europäischem oder deutschem Recht zu entfernen und was von der Idee, eine spezielle Facebook-Polizei einzurichten, zu halten ist.

Warum löscht Facebook keine Hasstiraden von Usern?

Facebook ist ein amerikanisches Unternehmen und verhält sich auch so. In den USA wird die öffentliche Meinungsfreiheit aber viel höher bewertet und stärker geschützt als bei uns. Amerikanische Gesetze und die amerikanische Verfassung sind der Maßstab für Facebook aber keinesfalls europäische Gesetze oder gar deutsche Werte, wie man anderseits auch an dem sehr amerikanisch-prüden Umgang mit Bildern auf Facebook sieht, die nackte Haut zeigen: Diese werden nämlich im Gegensatz zu Hasskommentaren durch eine Bilderkennungssoftware mehr oder minder automatisch gelöscht.

Hintergrund:

Was das betrifft, ist Facebook ein zutiefst amerikanisches Unternehmen und fühlt sich als Diskussionsplattform den Grundwerten der USA verpflichtet. In Amerika ist die freie Meinungsäußerung ein ausgesprochen hohes Recht jeder Einzelperson, das durch den ersten Verfassungszusatz geschützt ist.

Hier heißt es unter anderem, dass der Kongress kein Gesetz erlassen darf, das die Rede- oder Pressefreiheit einschränkt. Die Verfassung der Vereinigten Staaten schützt also sogar die anstößigsten und kontroversesten Meinungsäußerungen vor Unterdrückung durch den Staat und erlaubt die Einschränkung der Meinungsfreiheit ausschließlich unter bestimmten, sehr eng gefassten Umständen. Meinungen müssen sich in Amerika im Disput als stärker beweisen. Dies wird als Grundelement der demokratischen Entwicklung gesehen.

Ein Mundverbot würde das „Survival of the Fitest“ stören und ist daher von Staats wegen nur erlaubt:

  • Bei Anstachelung zu unmittelbar drohender Gewalt, wobei die reine Befürwortung von Gewalt (auch im Internet) nicht dazu gehört.
  • Bei einer echten Bedrohung, also wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Autor einer Meinung oder die Gruppe, die er vertritt, selbst zum Aggressor werden.
  • Bei Rufschädigung, bei der eine Tatsache (nicht eine Meinung!) falsch dargestellt wird, die die Reputation einer Person (Charakter, Beliebtheit oder Ruf) schädigt.
  • Bei obszönen Äußerungen, die sexuelle Interessen ansprechen, sexuelle Aktivitäten anstößig beschreiben und dabei keinen ernsthaften literarischen, künstlerischen, politischen oder wissenschaftlichen Wert haben.

Warum kümmert sich niemand darum, dass diese rassistischen Entgleisungen sofort gelöscht werden?

Auf die Beiträge in Facebook hat neben dem Nutzer, der sie postet, nur Facebook Zugriff. Also muss Facebook sie selbst löschen. Damit Facebook allerdings entfernt, muss der Beitrag von einem oder mehreren Lesern gemeldet werden. Das geht per Mausklick. Dann prüft Facebook die Angelegenheit. Allerdings kann das eine Weile dauern und der Ausgang ist offen, da Facebook sich auf amerikanische Wertestandards beruft. Wäre dies nicht so, könnte man über Wortfilter rassistische Kommentare identifizieren und ebenso automatisiert löschen. Nur ist in den USA ist Volksverhetzung anders als hierzulande kein Straftatbestand. Deshalb sehen US-Unternehmen wie Facebook auch keine Veranlassung tätig zu werden.

Hintergrund:

Darum kümmern, dass rassistische Entgleisungen gelöscht werden, kann sich jeder Facebook-Nutzer. Per Mausklick lassen sich Beiträge, die als anstößig empfunden werden, melden. Das geht schnell, führt aber nicht zu raschen Erfolgen, denn ohne genaue Überprüfung löscht Facebook keine Meinungsäußerung.

Dass wir unter dem transatlantischen Blickwinkel die Dinge anders beurteilen, gerne anders bewertet und mit Konsequenzen bedacht sehen würden, empfindet Facebook – die sich keiner Schuld bewusst sind – als Zumutung, denn schließlich erwarten wir, dass sie sich als amerikanisches Unternehmen nicht konform der geltende Gesetzes- und Verfassungslage in den USA verhalten.

Das ist für Unternehmen, die weltweit agieren, ihren Unternehmenssitz in den USA haben, generell ein Dilemma. Sie sind an die heimatliche Gesetzgebung gebunden, müssen aber auch den rechtlichen Bedingungen der Länder entsprechen, mit denen sie Geschäfte machen. Für diese Abwägung, die im Einzelfall geprüft werden muss, hat Facebook eigene Teams, die die eingereichten Beschwerden auf Stichhaltigkeit prüfen. So versucht das Unternehmen den rechtlichen Maßgaben gerecht zu werden.

Tatsächlich ist es so, dass der Umgang mit der freien Meinung aus unserer Sicht oft befremdlich ist, zumal sich Facebook ja offiziell darauf verpflichtet Äußerungen zu entfernen, die Personen aufgrund von Rasse, Ethnie, Geschlecht, religiöser Zugehörigkeit, sexueller Orientierung oder schweren Behinderungen direkt angreifen. Ob diese Aspekte bei der Überprüfung immer gebührend berücksichtigt werden, mag unter deutschen Wertevorstellungen bezweifelt werden. Denn hierzulande ist Volksverhetzung – anders als in den USA – gemäß § 130 des Strafgesetzbuchs ein Straftatbestand. Dann allerdings bleibt nur der Rechtsweg und der kann mitunter lang und steinig sein.

Die Grünen fordern eine europäische „Facebook-Polizei“. Halten Sie die Forderung für realistisch umsetzbar?

So eine Polizei bedarf eines hohen Aufwands, auch auf europäischer und globaler Ebene. Denn längst nicht immer kommen die strafbaren Inhalte aus dem eigenen Land oder sind zumindest hierher nachzuverfolgen. Da aber andere Länder andere Gesetze haben, ist die Strafverfolgung über die Grenzen hinweg schwer. Dennoch ist es wichtig, dass weltweite Standards gesucht und gefunden werden, was die Moral in Netzwerken betrifft. Auch hier darf nicht jeder machen, was er will. Flagge für die Moral kann aber schon heute jeder zeigen, beispielsweise indem sich Nutzer aus den kritisierten Netzwerken zurückziehen. Der Rückgang von Nutzern in großer Zahl und somit der wirtschaftliche Druck ist eine Sprache, die Unternehmen über alle Ländergrenzen hinweg verstehen.

Hintergrund:

Die Ermittlungen in sozialen Netzwerken sind problematisch, solange die Gesetzgebung nicht über nationale Grenzen hinweg einheitlich ist. Solange es keine EU-einheitliche Bewertung solcher Äußerungen gibt und sich Facebook und andere Internet-Dienste zudem als amerikanische Unternehmen an dort gültige Rechtsstandards gebunden fühlen, bringt einen deutsche „Facebook-Polizei“ wohl nur inländische Erfolge.

Tatsächlich aber wäre es schon ein Fortschritt, wenn jeder europäischer Staat gemäß seiner Gesetze rassistische Äußerungen konsequent verfolgen würde und die Urheber und sofern möglich auch die Verbreiter zur Rechenschaft ziehen würde. Über ein gemeinsames Bemühen ließe sich ein gemeinsamer Nenner für weitere Aktivitäten in dieser Hinsicht finden, an denen sich dann auch Facebook und andere amerikanische Unternehmen bei ihrem Auftritt in Europa messen lassen müssten.

Ein wichtiger Schritt, mit dem auf Unternehmen wie Facebook Druck ausgeübt werden könnte, ist aber viel einfacher als die Koordination einer europaweiten Anti-Rassismus-Polizei: Wenn Nutzer, die mit der Politik ihrer Social-Media-Provider nicht einverstanden sind, einfach die Plattform verlassen, wird ganz klar, wer wem die rote Karte zeigt. Und wirtschaftlichen Druck verstehen Unternehmen weltweit. Statt darauf zu warten, dass Hetzer und ihre Plattformen verurteilt werden, kann jeder Anwender selbst sein Urteil fällen und die Konsequenzen für sich ziehen.

Warum gibt es in Deutschland niemanden, der solche Botschaften kontrolliert?

Bei volksverhetzende Botschaften ermittelt in Deutschland die Polizei, denn es handelt sich hierbei um eine Straftat. Wer also solch einen Text sieht, kann Anzeige erstatten. Die Kontrolle liegt also zu einem guten Teil bei den Mitgliedern der sozialen Netzwerke: Wir können selbst zur verbesserten Kontrolle beitragen.

Hintergrund:

Man kann davon ausgehen, dass Facebook selbst Chats und Nachrichten überwacht. Immerhin war das Unternehmen diesbezüglich vor drei Jahren schon einmal in den Schlagzeilen. Allerdings ging es da um die sexuelle Belästigung von Minderjährigen, die automatisch erkannt werden sollte. Der Erfolg war aber mäßig – wie Facebook selbst zugab. Dazu kommt, dass jede Fundstelle noch einmal gesichtet werden muss.

Bei rund anderthalb Milliarden aktiven Facebook-Nutzern wäre die durchgängige Überwachung allerdings nicht nur teuer und zeitaufwendig sondern auch in Zeiten von Big Data recht ambitioniert und gleichzeitig – da ja viele Äußerungen rein privater Natur sind – ein Skandal.

Die Kontrolle in sozialen Netzwerken liegt deshalb mit gutem Grund bei denen, die die Nachrichten sehen, also entweder den eingetragenen Kontakten und Freunden, oder – bei öffentlich publizierten Äußerungen – bei der ganzen Netzgemeinschaft. Die Community war schon von Anfang an ein selbstregulierendes Instrument des Internets.

Manchmal wäre es gut, sich auf diese Qualität zu besinnen, anstatt ständig nach einer durchgängigen Kontrolle aus einer Hand zu rufen. Unabhängig und auch abhängig davon, werden Äußerungen, die einen Straftatbestand erfüllen, von der Exekutive verfolgt. Und dazu gehört in Deutschland auch die Volksverhetzung. Jeder kann also entsprechende Beobachtungen bei der Polizei anzeigen. Was die Kontrolle betrifft, sind wir also alle selbst in der Verantwortung. 

Kann man als User eigentlich eigene Botschaften dauerhaft löschen und wie geht das?

Das ist recht einfach: Eigene Postings lassen sich mit dem Löschen-Befehl entfernen. Der Befehl findet sich, im Kontextmenü rechts oben im Beitragsfeld. Postings von anderen kann ich nicht so ohne weiteres löschen, auch wenn sie anstößig, kriminell und rassistisch sind. Da hilft nur, sie bei Facebook und auch bei der Polizei zu melden. Das gilt übrigens für alle volksverhetzenden Beiträge – auch für die, die außerhalb von Facebook publiziert werden.

Hintergrund:

Wer bei Facebook eigene Postings entfernen möchte, klickt neben seinem Beitrag mit der Maus auf den Menüpfeil oben rechts und im geöffneten Kontextmenü auf „Löschen“. Auf diese Weise entfernt man den Beitrag samt Kommentaren nicht nur aus der eigenen Chronik sondern auch aus den Postings, in denen er geteilt wurde.

Aber Achtung: So lässt sich eine Entgleisung zwar löschen, nicht aber vergessen machen. Wer immer sie gelesen hat, wird sich im Zweifelsfall an den Text, das Bild, vor allem aber an den Urheber erinnern. Daher sollte sich jeder schon im eigenen Interesse davor hüten, hetzerische Kommentare zu posten, ganz abgesehen davon, dass sie, wie gesagt, oft strafbar sind und entsprechend zu Ermittlungen, Verfahren und Verurteilungen führen.

Und das gilt auch, wenn Facebook nichts gegen ihre Veröffentlichung unternimmt. Postings von anderen aber kann der Nutzer nicht selber löschen – auch wenn sie anstößig, kriminell und rassistisch sind. Da hilft nur, sie bei Facebook und auch bei der Polizei zu melden. Das gilt übrigens auch für volksverhetzende Beiträge, die außerhalb von Facebook publiziert werden.

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